Oma saß am Fenster, als Annedore hereinstürmte und sich auf ihren Schoß setzte. „Erzählst du mir die Geschichte, die du mir versprochen hast? Du wolltest mir doch erklären, warum Jesus für uns sterben musste.“
Oma begann zu erzählen, während Annedore gespannt zuhörte:
„Der Bauernhof flimmerte in der hochsommerlichen Mittagshitze. Bill, der Knecht, genoss seine Mittagspause im Schatten eines großen Apfelbaumes. Er hatte sein Brot gegessen und träumte nun vor sich hin. Noch hatte er eine halbe Stunde Pause, und es war ein herrliches Gefühl, alle Muskeln zu entspannen. Bill schloss die Augen … und war im Nu eingeschlafen.

Irgendein ungewöhnliches Geräusch weckte ihn. Was war das? Klang das nicht wie Prasseln von Flammen? Die Scheune! Tatsächlich, da quoll Rauch zwischen den Ritzen der Holzwände hervor.

Bills Gedanken rasten. Sollte er die Zigarette, die er kurz vor der Mittagspause beim Arbeiten in der Scheune geraucht hatte, nicht richtig ausgedrückt haben? Hundertmal hatte ihm der Bauer verboten, in der Scheune zu rauchen, aber …

Bill rannte zur Scheune hinüber. Als er die Tür öffnete, schlugen ihm helle Flammen entgegen, die durch die hereinströmende frische Luft nur noch stärker entfacht wurden. Hier konnte Bill allein nichts mehr machen. Im Gegenteil, wenn er nicht schnell Hilfe holte, würde sich das Feuer zum Hühnerstall und zum Haupthaus hin ausbreiten.

So schnell er konnte, rannte Bill los. Der Bauer saß bestimmt noch in der Stube beim Mittagessen, und von dort aus war die Scheune nicht zu sehen. Bill riss die Haustür auf und brüllte: >Feuer!< Dann stürzte er zum Telefon. Mit zitternden Fingern wählte er die Nummer der Feuerwehr. >Kommen Sie schnell<, rief er in den Hörer, >es brennt bei uns auf dem Hof an der Hauptstraße, etwa 4 Kilometer vom Dorf entfernt.<
Er warf den Hörer auf die Gabel. Und da stand auch schon der Bauer kreidebleich neben ihm. >Die Scheune brennt<, keuchte Bill. >Die ist nicht mehr zu retten. Wir müssen sehen, daß die Geflügelställe und das Haus nicht auch noch abbrennen.<

Gemeinsam bekämpften sie das Feuer, bis ihre Gesichter pechschwarz und ihre Augenbrauen angesengt waren. Die Frau des Bauern hatte inzwischen die Kinder ans Ende der Pferdekoppel gebracht und packte die wichtigsten Dinge zusammen, um sie in Sicherheit zu bringen.
Die Feuerwehr raste mit Sirenengeheul heran. Es dauerte einige Zeit, bis das Feuer eingedämmt war. Von der Scheune war nicht mehr als ein riesiger nasser Aschenhaufen übriggeblieben. Aber die Geflügelställe, das Wohnhaus und der Stall waren gerettet.

Als alle Sachen wieder ins Haus gebracht worden waren, ging der Bauer zum Hühnerstall hinaus, um die Hühner zu füttern. Die kamen gackernd und misstrauisch zu ihm. Er zählte sie sorgfältig. Die weiße Henne und ihre Küken fehlten.

Wo mochten sie wohl sein? Die Küken waren noch ganz klein – neun winzige gelbe Federbälle. Der Bauer verstand das nicht. Er hatte sie doch gesehen, wie sie hinter der Henne ins Freie gerannt waren zum offenen Feld hin. Wo mochten die Tiere sein? Er musste sie suchen. Doch wohin er auch ging, er fand nichts. Endlich kam er wieder bei der heruntergebrannten Scheune an. Dort blieb er plötzlich stehen und starrte auf den Boden.
Ganz in der Nähe der Mauerreste saß die Henne. Ihr Kopf hing zur Seite herab, ihre Federn waren angebrannt, fast schwarz. Sie war tot. Dabei hätte sie sich ohne weiteres in Sicherheit bringen können. Nichts behinderte ihren Weg in die Freiheit. Warum hatte sie sich dahin gehockt und war so in den Flammen umgekommen? Der Bauer bückte sich zu ihr hinab und hob sie auf. Da kamen unter ihren leblosen Flügeln quicklebendig und piepsend die neun flaumigen Küken zum Vorschein. Der Bauer fing sie ein, setzte sie in eine Kiste und stellte sie neben den warmen Herd.
Die kleine Tochter des Bauern konnte sich gar nicht beruhigen. >Die Henne hätte sich doch ohne weiteres in Sicherheit bringen können, nicht wahr Papa?< sagte sie immer wieder. >Aber die Küken waren bestimmt zu klein, um so schnell zu rennen… Vielleicht haben sie auch im Rauch den Weg nicht gefunden… Vielleicht sind sie in die falsche Richtung gelaufen. Jedenfalls hat die Henne gewusst, dass der sicherste Ort unter ihren Flügeln gewesen ist, nicht wahr, Papa? … Da hat sie sich bestimmt einfach hingesetzt und ihre Küken unter ihre Flügel gerufen. Und dann ist sie für die Küken gestorben. Das ist aber eine gute Mutter gewesen!<

Als Oma nun diese Geschichte zu Ende erzählt hatte, sagte sie zur kleinen Annedore, die ganz still geworden war: „Jesus war ohne Sünde. Wir aber haben viele Sünden, für die wir sterben müssten. Jesus ist aber freiwillig an unserer Stelle gestorben. Nun ruft er uns, dass wir zu ihm kommen, damit er uns behüten kann. Er will uns ewiges Leben geben.“

An diesem Abend betete Annedore vor dem Schlafengehen: „Herr Jesus, du liebst mich so sehr, dass du für mich gestorben bist, damit ich das ewige Leben haben kann. Und du rufst mich, damit ich zu dir kommen und mich bei dir in Sicherheit bringe. Ich komme jetzt zu dir. Danke, dass du mich so liebst und für mich gestorben bist. Amen.“

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